Verschuldens- und Gefährdungshaftung

Inhaltsübersicht


Haftungsgrundlagen in der KFZ-Versicherung

Für ein tiefer gehendes Verständnis der KFZ-Haftpflichtversicherung ist ein Blick auf die versicherungstechnischen Haftungsgrundlagen unerlässlich. Zwei in der KFZ-Haftpflicht besonders relevante Begriffe sind das Deckungsverhältnis und das Haftungsverhältnis. Das Deckungsverhältnis besteht zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherungsnehmer. Im Schadenfall wird geprüft, ob der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt eines Schadens wirksam versichert war. Damit wirksame Versicherungsschutz besteht, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss ein gültiger Versicherungsvertrag für das betreffende Fahrzeug und den Fahrer existieren. Zweitens darf dem Versicherungsnehmer keine Verletzung seiner vertraglichen Obliegenheiten vorzuwerfen sein. Zwischen dem Versicherungsnehmer und einem Geschädigten besteht ein Haftungsverhältnis. Im Rahmen des Haftungsverhältnisses wird zunächst geklärt, ob dem Versicherungsnehmer ein Verschulden anzulasten ist. Ferner muss festgestellt werden, ob die Schuld für ein Schadenereignis allein beim Versicherungsnehmer zu suchen ist oder ob auch der Geschädigte einen Teil der Schuld trägt. Der Geschädigte kann sich nach einem Unfall direkt an den Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers wenden – er verfügt gegen diesen über einen Direktanspruch. Jeder rechtlich wirksame Anspruch resultiert aus Anspruchsgrundlagen. Im Fall der KFZ-Versicherung handelt es sich um gesetzlich festgelegte Haftungsvorgaben. In Betracht kommen die Verschuldenshaftung gemäß §823BGB und die Gefährdungshaftung gemäß § 7 Straßenverkehrsgesetz. Grundlagen der Verschuldenshaftung Die Verschuldenshaftung regelt das Bürgerliche Gesetzbuch. In §823 schreibt der Gesetzgeber vor:
  • (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
  • (2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein. 
Ferner ist § 276 BGB für Fälle relevant, in denen mindestens einfache Fahrlässigkeit vorliegt:
  • (1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung.
  • (2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
  • (3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden. 

Recht haben und Recht bekommen: Die Beweislast liegt beim Geschädigten

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In der Praxis wird nicht jeder berechtigte Anspruch ohne Weiteres reguliert. Geschädigte müssen ihren Anspruch auf Schadenersatz im Sinne des 823BGB nachweisen. Geschädigten steht Schadenersatz in einem Umfang zu, der die Wiederherstellung des Zustands gewährleistet, der vor der Schädigung bestand. Der Unfallverursacher bzw. dessen Versicherer muss für Personenschäden, Sachschäden und Vermögensschäden einstehen.

Personenschäden

Personenschäden treten bei längst nicht allen Unfällen auf. Sie können aber schwindelerregende Höhen erreichen. Insbesondere wenn es zu schweren Verletzungen mit langwierigen Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen sowie bleibender Behinderung kommt, sind siebenstellige Beträge schnell erreicht. Zu den Personenschäden zählen zum Beispiel die Kosten für einen Aufenthalt im Krankenhaus, Arztbehandlungen, Arzneimittel etc. Diese Kosten verlangt der zuständige Krankenversicherer von der haftenden KFZ-Versicherung zurück. Geschädigte haben darüber hinaus Anspruch auf den Ersatz von Personenfolgeschäden. Diese betreffen insbesondere das Erwerbseinkommen Geschädigter. Ersatz zu leisten ist etwa für Lohnausfälle, berufliche Nachteile, Kosten für Umschulungen und andere Maßnahmen, die infolge eines Schadenereignisses notwendig werden. Unfallverursacher müssen auch für Haushaltshilfen, Umbaumaßnahmen im Haus des Geschädigten usw. aufkommen, wenn die Umstände es erfordern. Zu den Ansprüchen im Zusammenhang mit Personenschäden zählt auch Schmerzensgeld. Dessen Höhe richtet sich nach Art und Schwere der Verletzung. Die Höhe eines Schmerzensgeldes wird keinesfalls willkürlich von einem Gericht festgelegt. Es existiert ein Schmerzensgeldkatalog, in dem zahlreiche Beispielfälle mit zugehöriger Entschädigung aufgelistet sind. Zu den häufigsten Alltagsverletzungen (und erst Recht zu den häufigsten Verletzungen im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen) gehört das so genannte Schleudertrauma, auch HWS-Syndrom genannt. Die Spanne der verordneten Schmerzensgelder erstreckte sich laut Schmerzensgeldkatalog 2011 in den Regelfällen von 150 bis 5.000 Euro.

Sachschäden

Der Verursacher eines Unfalls muss dem Geschädigten ferner Sachschäden ersetzen. Als Sachschaden gelten Schäden am Fahrzeug und an anderen Sachen des Geschädigten, wie z.B. seiner Kleidung, der im Fahrzeug mitgeführten Ladung oder auch an Gebäuden, Straßenverkehrsschildern (der Geschädigte ist dann die öffentliche Hand). Auch für Ersatzfolgeschäden besteht ein Entschädigungsanspruch. Zu nennen sind hier Kosten für Rechtsanwälte, Gericht und Gutachter, Abschleppkosten, Mietwagen etc. Auch Wertminderung gehört zu den Sachfolgeschäden. Wird ein verunfalltes Fahrzeug repariert, ist sein Wert trotz der Reparatur geringer als der eines vergleichbaren Fahrzeuges ohne Unfallhistorie. Die Differenz muss der Unfallverursacher erstatten. Ein Ausgleich für die Nutzung eines Mietwagens steht dem Geschädigten auch zu, wenn tatsächlich gar kein Mietwagen in Anspruch genommen wird (ganz gleich aus welchem Grund). Dann  besteht Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung für jeden einzelnen Tag, an dem das eigene Fahrzeug unfallbedingt nicht zur Verfügung stand. Die Entschädigung richtet sich nach dem Fahrzeugtyp und reicht von rund 25 Euro bei einem Renault Twingo bis zu 100 Euro bei einem 7er BMW.

Vermögensschäden

Vermögensschäden treten im Zusammenhang mit der KFZ-Haftpflicht relativ selten auf. Ein mögliches Beispiel ist eine durch den Unfallverursacher herbeigeführte Störung eines Gewerbebetriebs. Versperrt ein zerstörtes Fahrzeug nach einem Unfall z. B. Für mehrere Stunden den Lieferanteneingang und kommt es in der Folge dessen zu einer Verminderung der Produktionsleistung, liegt ein Vermögensschaden vor. Nach geltender Rechtsprechung können Geschädigte im Allgemeinen keinen Ersatz für den Zeitaufwand fordern, der ihnen im Zusammenhang mit dem Ausfüllen von Fragebögen oder Gesprächen mit Anwälten und Gutachtern entstanden ist. Die Rechtsprechung geht vielmehr davon aus, dass Kosten der allgemeinen Verwaltung zu den Pflichten eines Geschädigten gehören. Für Schadenersatz auf Grundlage der Verschuldenshaftung gibt es keine Obergrenze. Der Verursacher haftet in unbegrenzter Höhe. Übersteigt der Anspruch des Geschädigten die mit dem Versicherer vereinbarte Versicherungssumme, muss der Verursacher die Differenz aus eigener Tasche zahlen. Da die Versicherungssummen in der KFZ-Haftpflicht großzügig bemessen sind, kommt es relativ selten dazu. Trägt der Geschädigte eine Teilschuld am Unfall, wird sein Anspruch entsprechend des Anteils seines Verschuldens gekürzt.

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Grundlagen der Gefährdungshaftung

Auf der Grundlage der Gefährdungshaftung kann es zu Schadenersatzansprüchen kommen, ohne dass der Fahrer oder Halter eines Fahrzeugs direkt in einen Unfall involviert ist. Der Gesetzgeber geht von dem Grundgedanken aus, dass ein Fahrzeug für andere auch dann  eine Gefahr darstellen kann, wenn sich der Fahrer vorschriftsmäßig verhält. In diesen Fällen wird der Halter des Fahrzeugs  verantwortlich gemacht. Ein Fahrzeug kann sich im Betrieb befinden, ohne zu fahren. Das ist der Fall, wenn der Motor (noch oder bereits) läuft. Auch wenn ein Fahrzeug abgestellt ist, kann es andere gefährden, etwa durch eine Sichtbehinderung. In der Ausbildungsliteratur des Verlags für Versicherungswirtschaft wird ein Beispiel für eine solche Situation aufgeführt. Der Fahrer parkt unter Zeitdruck regelwidrig im eingeschränkten Halteverbot auf der Fahrbahn, um einen Termin wahrnehmen zu können. Während seiner Abwesenheit versucht ein Kind die Fahrbahn zu überqueren. Aufgrund des abgestellten Fahrzeugs übersieht es den herannahenden Verkehr und wird von einem Auto erfasst und verletzt. Der Fahrer des Unfallfahrzeugs war aufgrund des Sichthindernisses nicht mehr in der Lage, rechtzeitig zu bremsen.  Für den entstandenen Personenschaden haftet in diesem Beispiel auch der Fahrer des abgestellten Fahrzeugs.

Haftungsdurchgriff bei Anhängern

Wer einem anderen einen Anhänger leiht, kann für dessen Unfälle haftbar gemacht werden. Seit 2002 gilt für Anhänger und das ziehende Fahrzeug eine gesamtschuldnerische Haftung. Dies ist in der Praxis vor allem relevant, wenn das Kennzeichen des ziehenden Fahrzeugs nach einem Unfall nicht ermittelt werden kann, wohl aber das des Anhängers. Für alle Unfallschäden kann dann der Halter des Anhängers herangezogen werden. Für die gesamtschuldnerische Haftung spielt es keine Rolle, ob für den Anhänger eine Zulassungspflicht bestand oder nicht. Anders als bei der Verschuldenshaftung sieht das Gesetz bei der Gefährdungshaftung eine Obergrenze vor. Für Personenschäden ist die Haftung auf einen Kapitalbetrag von 600.000 Euro oder eine jährliche Rente von 36.000 Euro begrenzt, wenn ein Mensch zu Schaden kommt. Bei mehreren Menschen beträgt die Obergrenze 3 Mio. Euro bzw. 180.000 Euro jährlich. Für Sach- und Sachfolgeschäden gilt eine Gesamtobergrenze von 300.000 Euro. Das Gesetz sieht ferner eine Haftungsbefreiung im Fall von höherer Gewalt vor, die vom Halter des Fahrzeugs zu beweisen ist. Eine Hintertür ist höhere Gewalt nicht – die Rechtsprechung hat die Definition sehr streng ausgelegt. Unter höherer Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen herbeigeführtes Ereignis. Das Ereignis muss durch elementare Naturkräfte oder dritte Personen herbeigeführt worden und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar und unabwendbar sein. Höhere Gewalt liegt zum Beispiel vor, wenn eine Überschwemmung ein geparktes Auto auf eine Straße schwemmt. Auch wenn Chaoten Gegenstände von Autobahnbrücken werfen und es infolge dessen zu Schäden kommt, haftet dafür nicht der Halter im Sinne der Gefährdungshaftung. ABER: Blitzeis und Ölspuren sind keine höhere Gewalt. Diese Ereignisse sind nicht unvorhersehbar und die möglichen Folgen lassen sich durch geeignetes Fahren abwenden.