Was zahlt eigentlich die Vollkaskoversicherung bei Gutachterregulierung?

Ein Mechaniker und eine junge Frau betrachten ein Auto von unten
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„Und wenn Sie selbst einen Unfall verursachen – das reguliert dann die Vollkaskoversicherung“, so die vollmundigen Ausführungen zahlreicher Versicherungsaußendienstmitarbeiter. Leider wird aber im Gespräch selten darauf hingewiesen, dass es bei der Regulierung durchaus Einschränkungen gibt, wie der vorliegende Fall beweist. Versicherer wären schließlich keine Versicherer, wenn sie kein Klauselwerk hätten. Ein Autofahrer machte bei seiner Vollkaskoversicherung einen selbst verursachten Schaden geltend, den er auf der Basis eines Gutachtens bezifferte. Da es sich um ein Auto mit Stern handelte, legte der Gutachter den Stundensatz einer Mercedes-Benz Werkstatt zugrunde. Die von der Vertragswerkstatt ausgewiesenen Kosten beliefen sich auf 9.400 Euro. Gegenstand der Klage war im Detail die Frage, ob bei einer Regulierung auf Gutachterbasis der Stundensatz einer markengebundenen Werkstatt oder der Stundensatz einer freien Werkstatt zugrunde gelegt werden kann oder muss. Der Versicherer, dessen Leistungspflicht zweifelsfrei war, erstattete jedoch nur 6.400 Euro. In Bezug auf die Leistungskürzung berief er sich auf die deutlich günstigeren Stundensätze einer freien Werkstatt. Der Versicherungsnehmer klagte zunächst erfolgreich vor dem Amtsgericht Berlin-Mitte (Amtsgericht Mitte – Urteil vom 1. Februar 2013 – 114 C 3023/12). Der Versicherer ging jedoch vor dem Landgericht Berlin in Berufung und erhielt Recht (Landgericht Berlin – Urteil vom 15. Oktober 2014 – 44 S 106/13). Grundlage für das Urteil des Landgerichts sind die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB 2008) des Versicherers.

Die Argumentationsgrundlage des Versicherers

In den allgemeinen Bedingungen des beklagten Versicherers heißt es: „Wird das Fahrzeug beschädigt, zahlen wir die für die Reparatur erforderlichen Kosten bis zu folgenden Obergrenzen: a)Wird das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert, zahlen wir die hierfür erforderlichen Kosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts nach A.2.6.6, wenn Sie uns dies durch eine Rechnung nachweisen. Fehlt dieser Nachweis, zahlen wir entsprechend A.2.7.1.b. b)Wird das Fahrzeug nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert, zahlen wir die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts nach A.2.6.6.“ Bedauerlicherweise ist nicht bekannt, um welchen Versicherer es sich handelt, da die Musterbedingungen der AKB 2008 des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) keinen Passus A.2.6.6 enthalten und es sich hier um eine individuelle Klausel des Versicherers handelt. Gleiches gilt für die Klausel A.2.7.1.b. Der Abschnitt A.2.6 behandelt die Abrechnung der Kosten auf der Basis eines unabhängigen Gutachters bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe der notwendigen Reparaturkosten. Darüber hinaus werden in beiden Urteilen keine Aussagen bezüglich des Restwertes des beschädigten Autos getroffen. Läge der Wiederbeschaffungswert unter den in Ansatz gebrachten 9.400 Euro, wäre der Sachverhalt aufgrund der AKB eindeutig.

Offene Fragen bei den Versicherten

Für den Versicherungsnehmer stellen sich zwei Fragen: 1.)    Wie soll er sich bei der Bestellung des Gutachters verhalten, um seine gerechtfertigten Ansprüche befriedigt zu bekommen? Nicht jeder Autobesitzer ist ein Freund freier Werkstätten, sondern schwört auf seinen Vertragshändler. 2.)    Wie verhält es sich bei Abrechnung eines Schadens auf Gutachterbasis, wenn die Vollkaskoversicherung die freie Werkstattwahl ausschließt? In der Regel kooperieren die Versicherer mit markengebundenen Werkstätten. Ausnahme sind Karosseriewerkstätten und Leistungen bei Glasschäden. Schließt die Werkstattbindung im Vertrag die Regulierung auf Gutachterbasis aus? Für Versicherungsnehmer, die einen Vertrag mit Werkstattbindung besitzen, besteht durchaus die Möglichkeit, den Schaden auf Gutachterbasis abzurechnen. In diesem Fall wird jedoch die Rechnungssumme um 19 Prozent Mehrwertsteuer gekürzt. Kritisch wird es, wenn es an der gleichen Stelle des Fahrzeugs erneut zu einem Schaden kommt. Hier besteht das Risiko, dass der Versicherer auf den nicht reparierten Vorschaden verweist. Im hier betrachteten Fall wird sich der Bundesgerichtshof am 11. November 2015 mit der Frage beschäftigen, ob ein Gutachten auf dem Stundensatz einer Vertragswerkstatt erstellt werden kann, oder ob der Gutachter in der Pflicht ist, den durchschnittlichen Stundensatz freier lokaler Werkstätten zugrunde zu legen. Auch wenn eher unspektakulär abgehandelt, hat dieses Urteil für Autofahrer einen richtungweisenden Hintergrund.